Sie hatte mich bereits entdeckt, bevor ich sie überhaupt wahrnahm. Diese Tasche. Grau, schlicht, mit Fransenapplikation. Für manch anderen vielleicht ein ganz fantasielos aussehendes Teil, aber die Verführung hatte mich bereits bei der Kehle gepackt und war drauf und dran, mich ins Nirvana zu schütteln. Geknickt sah ich auf meine Tasche hinunter, und dann wieder auf das Objekt meiner Begierde im Schaufenster des Taschengeschäfts. Meine Tasche hatte ein Loch im Innenfutter. Und zwar ein wirklich sagenhaftes. Aber im Ringkampf mit meinem Herzen meldete sich mein Verstand zu Wort: Anette, du bleibst jetzt stark. Deine Tasche hat ein Loch – deshalb brauchst du doch keine neue.
Ich hatte daheim diese uralte Jeansjacke liegen, die ich schon fast weggeschmissen hätte. Doch jetzt war ich froh, dass ich es nicht getan hatte. Ich würde mir aus dem Jeanstoff ganz einfach ein neues Innenfutter für meine Tasche machen. Das bisschen Nähen war mir mein Geld definitiv wert. Außerdem brauchte ich mich bloß ein paar wenige Wochen gedulden – und schon würde die Tasche reduziert sein. Falls ich die Tasche dann immer noch so attraktiv finden würde, könnte ich sie dann immer noch zu einem billigeren Preis ergattern.
Froh über meine Entscheidung sagte ich der begehrten Tasche gedanklich Sayonara und bummelte weiter durch das Einkaufszentrum. Ich hatte mir ganz bewusst nur so viel Bargeld mitgenommen, wie ich maximal ausgeben wollte. Vermutlich hätte mich die Mitnahme meiner Kreditkarte noch eher dazu verleitet, diese viel zu teure (göttliche! Majestätische! Verlockende!) Tasche doch zu kaufen. Wer weiß, dass er kaum Selbstbeherrschung hat, muss sich eben bereits vor dem Betreten des höchst gefährlichen Einkaufsparadieses zu zügeln wissen.
Ich hatte mir bereits auch exakt überlegt, welche Produkte ich heute einkaufen wollte, hatte mir dafür zuvor auf einem Schnäppchenportal die Coupons des Tages ausgedruckt. Mein normalerweise sündhaft teures Deodorant aus der Drogerie war jetzt nur noch halb so teuer, und auf das sowieso schon reduzierte Vorteilspack Flüssigseife gab’s auch noch mal satte 75% Rabatt. Ganz klar, beim Auswählen der Taschentüchermarke ließ ich die teuren Kandidaten sofort links liegen und entschied mich für die Hausmarke. Es war schwer zu leugnen, dass das Brot an der Bäckertheke neben dem Ausgang unheimlich gut aussah. Fast geriet ich in Versuchung, beschloss aber dann doch lieber, zuhause mein eigenes zu backen. Das ging sowieso ziemlich schnell! Vielleicht sollte ich mir trotzdem ein Stück dieses fantastisch aussehenden, unnachahmbaren Schokoladenkuchens gönnen? Ein schneller Blick auf die Preise verriet mir, dass ich es eindeutig lieber zwei Straßen weiter beim Bäcker kaufen sollte, denn da war der Kuchen wesentlich billiger.
Eine glückliche Anette fand man dann an der Kasse stehend, neben voll ausgekosteter Fließbandlänge. Wie üblich versuchte mir die Kassiererin noch eine quietschbunt bedruckte Tasche anzudrehen, sie koste ja nur 1,50€ und irgendwo müsse ich meinen Großeinkauf ja verstauen. Aber der Anette war nach wie vor ein Lächeln ins Gesicht geschrieben, denn ich fummelte jetzt meine eigene Stofftasche aus meiner Handtasche, und beglückte die Kassiererin mit einem 100-Watt-Strahlelächeln, gefolgt von einem „Nein, danke, ich besitze meine eigene!“
Apropos 100 Watt, da fiel mir ein, dass ich dringend neue Lampen fürs Kinderzimmer meines Sohns Danny brauchte. Der hatte es auf mir unergründliche Weise fertig gebracht, mit einem Tennisball die Birnen seiner Lampe regelrecht aus ihrer Fassung zu reißen und zu zerstören. (Zerstörergene… nein, von mir hat er das auf jeden Fall nicht.) Oh, das Elektrogeschäft hatte so viel Auswahl! Doch bei der Wahl von neuen Lampen und Lämpchen ging mir sofort ein Licht auf (ja, so kann man das ziemlich gut nennen). LEDs waren nicht nur extrem billig – und wurden immer noch billiger – sie waren nebenbei auch noch richtig groß im Energiesparen. Also sparte ich im Prinzip gleich doppelt.
Nach dem Kauf der LEDs schlenderte ich an einem weiteren Bekleidungsgeschäft vorbei. Mein Blick fiel sofort auf den Ständer mit der reduzierten Ware in der Männerabteilung. Und siehe da: Es hatte sich gelohnt! Da hing er, der Pulli, dass ich so gerne wollte. Ich hatte mich ein paar Wochen geduldet, damit es von der Schaufensterpuppe zur reduzierten Ware wechselte. Das machte ich immer so. Zusätzlich schaute ich mich auch immer öfter in der Kinder- und Herrenabteilung um: Ich hatte ziemlich kleine Füße und fand die billigsten Schuhe meist in der Kinderabteilung, und mit meinen eher breiten Schultern fand ich in der Herrenabteilung so oft Sachen, die mir gut passten, oder unisexe Basics, ohne die meine Garderobe undenkbar wäre. Nicht nur passten sie zu jedem Anlass, doch alles, was nicht gerade aus der Frauenabteilung kam, war von Anfang an auch grundsätzlich preiswerter. (Und Hosen aus der Männerabteilung hatten wenigstens noch Taschen … vermutlich versuchte die Frauenabteilung und mit ihren taschenlosen Hosen, den zusätzlichen Kauf einer grauen Fransentasche anzutun … pff!)
Dank dem kostenlosen Onlineabonnieren von Gutscheinen für Fashiongeschäfte hatte ich auch diesen Monat wieder etwas für meine Wahl dabei: Oh, 50% auf alles in diesem Geschäft! Meine Augen strahlten wie Dannys an Weihnachten. Glücklich bezahlte ich einen fast schon lächerlichen Preis an der Kasse.
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